Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche des Theaterstückes von Claire Gatineau, Au-dessus de la plaine, © Claire Gatineau/Espace d’un instant 2006, ISBN 978-2-915037-41-8; Über der Ebene, Wolfgang Barth, 04.11.2017; www.vieuxloup.de EXPOSÉ, 05.12.2018
Exposé: Claire Gatineau, Über der Ebene
Was geschieht, wenn ein junger Dorfbewohner im Briançonnais, einer Landschaft hoch in den französischen Alpen, bei einer Gebirgswanderung einer albanischen Emigrantin mit ihren Kindern begegnet? Und was geschieht, wenn er ihr, jetzt in seiner Uniform als Grenzpolizist, der die illegale Einwanderung verhindern soll, noch einmal begegnet?
Der junge Polizist hält den Gegensatz zwischen seiner unmittelbaren Empfindung bei der ersten Begegnung und seiner Aufgabe und Funktion nicht aus und legt die Uniform ab. In einem schmerzhaften Loslösungs- und Entwicklungsprozess, den das Stück mit großem Verständnis auch für die „Dableibenden“ beschreibt, kommt er in Gegensatz zu seiner Umgebung im ganz privaten und im beruflichen Bereich, und nur wenige können sein Handeln verstehen. Am Ende des Prozesses verlässt er die Heimat und geht einer unbekannten Zukunft entgegen: Er geht den Weg der Emigrantin in umgekehrter Richtung nach Albanien zurück. Der Theaterautor Daniel Lemahieu schreibt im Vorwort zur französischen Ausgabe des Stückes:
„[Der Protagonist findet] das Unaussprechbare im Blick dieser Frau aus Albanien, der seltsamen, stillen, rebellischen und stolzen Fremden, die seinem Schritt Einhalt bietet, ihn bewegungslos verharren lässt, der Frau mit nackten Füßen, alleine mit einem Kind an ihrer Seite und einem Jugendlichen, der sich hinter ihr versteckt. Unbeschreibbare Beziehung, bei der die Worte versagen. Und der Blick dieser Frau nimmt ihn mit, lädt ihn ein, wegzugehen, hält ihm den faszinierenden Spiegel seines möglichen Unterganges vor, wenn er die Freiheit wählt. Wie eine Orakelpriesterin deutet die Frau, die sich verstecken muss, die um Hilfe bittet, durch ihre Anwesenheit das Geheimnis des Schicksals.“
Der Titel des Stückes verweist auf die Metapher einer Ballonfahrt im Zentrum des Stückes. Die Fahrer verlassen bei ihrem Aufstieg am Hang entlang Stück um Stück die bekannte und lebenswerte Umgebung, kommen in unwirtliche und feindliche Regionen, bis sie schließlich aus einer ganz anderen Perspektive weit „über der Ebene“ einen neuen Blick auf die Dinge gewinnen und einen anderen Bedeutungskontext erreichen. Im bildhaften und philosophischen Kontext der Migration umfasst das Stück Dableiben und Weggehen, Routine und Abenteuer, Stillstand und Bewegung, Gewohnheit und die unerreichbare Sehnsucht nach dem anderen.
Dem Text liegen reale Erfahrungen zugrunde. Im Briançonnais, der Hochgebirgsregion, in der die Autorin selbst ihre Jugend verbracht hat, verhalten sich die Einwohner entsprechend einer in Jahrhunderten geformten Ethik: Sie retten in Bergnot geratene Immigranten vor dem Erfrierungstod und kommen so in Konflikt mit dem Gesetz, das die illegale Einwanderung verbietet.
Wolfgang Barth, 5.12.2018
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