Exposé von Gilles Boulan: DER WEG ZUM HAUS

Gilles Boulan, Le Chemin de la maison,ISBN 979-10-92143-01-0 © éditions de l’Aiguille, 2013 ; Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche © Wolfgang Barth, Der Weg zum Haus, März 2017, KARL MAHNKE THEATERVERLAG; EXPOSÉ von Gilles Boulan ("note d'intentions"), übernommen am 11.02.2020 

„Das Haus ist schöner
als der Weg zum Haus.“
Mahmoud Darwish

Mahmoud Darwish 
© Foto und Sendung: Deutschlandfunk Kultur

 Das Haus ist schöner als der Weg zum Haus

 So lautet die Überschrift über ein Gespräch zwischen Mahmoud Darwish und dem syrischen Dichter Nuri Jarrah. Es wurde in Palästina als Metapher veröffentlicht und befasst sich im Wesentlichen mit der ersten Reise Mahmoud Darwishs nach fünfzig Jahren Abwesenheit zu den Orten seiner Kindheit.

In der Unterhaltung überlagern sich die Themen Exil, Erinnerung und Identität. Sie spielen für das palästinensische Bewusstsein eine außergewöhnliche Rolle. Der palästinensische Dichter spricht über sie ohne jede Parteinahme, er wird nicht heftig, zeigt nicht seinen Schmerz. Er berichtet von den großen und kleinen Freuden bei der Rückkehr in seine Heimat (vom Duft des Kardamom-Kaffees, von den Rosen im Garten seiner Mutter…), gibt Trauer um Verlust oder Verbitterung keinen Raum, belässt es nicht bei der Beschreibung seines zerstörten Dorfes. Man gewinnt den Eindruck, dass er diesen außergewöhnlichen Besuch einfach wie einen beglückenden Teilabschnitt seiner Existenz erlebt. Das Gespräch über Palästina endet mit der Schlussfolgerung:  

Ich werde sagen Und in deinem Namen werde ich einschlafen. Denn mein Schlaf muss sich in einen Namen hüllen, in die Wärme, die er auf einem Kopfkissen hinterlässt.

Mahmoud Darwish – Palästina als Metapher

Neben diesem Gespräch liegt eine weitere Begründung für das Stück in seinem Titel: Der zurückhaltende Aphorismus enthält die unglaubliche Erwartungshaltung, die Macht der Erinnerung und die vielfältigen Schwierigkeiten, die mit einer solchen Heimkehr verbunden sind. Diese Aspekte bestimmen heute insgesamt das Denken des palästinensischen Volkes und den Konflikt mit Israel, so wie sie vordem Zehntausende von Juden auf der Flucht vor den Pogromen der Nazibarbarei erfuhren, und auch Odysseus muss ihnen im Verlauf seiner langen Reise begegnet sein. Allgemein haben es alle Emigranten mit dem Weg zum Haus zu tun, welches auch immer die Gründe ihres Exils und seine Dauer sein mögen.

Palästina

Der Plan, das Stück zu schreiben, erwuchs auch aus einer umfangreichen Lektürearbeit und Theaterforschung am Panta Theater in Caen anlässlich des Theater-Workshops Das Land der Olivenbäume: Schreiben über Palästina. Die Ergebnisse dieses Arbeitsexperiments wurden im März 2005 vorgelegt und es entstanden auf Bestellung des Theaterensembles von Philippe Ducros und Mohamed Kacimi zwei Stücke.

Ziel der Arbeit war die Erstellung einer Materialsammlung aus unterschiedlichen Quellen (Roman, Theater, Lyrik, historische Texte, Presseartikel…). Sie sollte einen weniger oberflächlichen Blick auf die Ursprünge des Konflikts, die einzelnen Ereignisse und die Akteure erlauben. Die Theaterproben sollten auf der Basis eines gewissen historischen Wissens und literarischer Kenntnisse erfolgen, die Überlegungen des Theaterteams und der Gegenstand des Seminars selbst dadurch befördert werden.

Aus dieser regelmäßigen und arbeitsintensiven Beschäftigung über fast ein Jahr mit der reichen und vielseitigen palästinensischen, israelischen und frankophonen Literatur ergab sich sowohl der Wunsch, ein Stück zu schreiben, als auch das Wissen um die mit einem solchen Projekt verbundenen Schwierigkeiten und sogar Risiken. Die Grundlagenarbeit hat vielleicht weniger dazu beigetragen, Wissenslücken, Irrtümer und Verständnismängel im Zusammenhangmit dem Konflikt zu beseitigen. Es gelang aber der Anfang einer Annäherung an dieses Thema mit den Mitteln des Theaters. Eine erste Antwort auf die grundlegende Frage, wie man über ein solches Thema schreiben kann. Wie eine Theaterbühne eine derart schwierige, aktuell drängende und komplexe Problematik wie die Palästina-Frage darzustellen vermag. Wie dies geschehen soll, ohne der Parteilichkeit, dem vereinfachenden Konsens oder dem Stammtischniveau zu verfallen.

Es gibt viele Fallen, das ist bekannt. Oft begegnet man Merkmalen parteiischer Gutgläubigkeit, unmittelbar mit Antisemitismus verknüpften, manichäistischen Schwarz-Weiß-Denkens, auf unserem Ausländerstatus beruhender Naivität und des wohlfeilen Exotismus… Andere sind noch schädlicher: Politischer Determinismus, thematische Übertreibung, der Wille, auf Biegen und Brechen einen allgemeinen Sinn zu finden, das Risiko, sich selbst herabzuwürdigen, traurig und arm auszusehen… Befangenheit in politisch „korrektem“ Mitleid in einem realen Kontext, der Mitleid kaum kennt. Den Hintergrund bilden Terrorismus, Versatzstücke aus dem Holocaust, die Siedlungspolitik und religiöse Absichten.

Und wie soll man dieser in einem lokalen Konflikt verwurzelten Historie eine universelle Dimension abgewinnen? Wie den korrekten Abstand zu einer in ihrer Globalität und Komplexität unmöglich zu beschreibenden Wirklichkeit wahren? Und dabei ein dichterisches Werk verfassen und kein historisches Traktat? Wie soll das politische Theater aussehen, das dem entspricht? Es muss der Dichtung und der Geschichte gerecht werden, darf kein Leid, keine Fehler und Lügen übergehen und Schwäche, Illusion und Täuschung nicht zulassen. Auch wenn man entschieden hat, auf der Seite der Verlierer zu stehen.

Ich stehe auf Seiten Trojas, denn Troja ist der Verlierer. Meine Erziehung, meine ganze Lebensweise, meine ganze Erfahrung sind die eines Verlierers und meine Auseinandersetzung mit dem Anderen dreht sich um eine einzige Frage: Wer von uns beiden nimmt heute zu Recht den Opferstatus in Anspruch? Im Scherz sagte ich dem Anderen: Lass uns die Rollen tauschen. Ihr seid die siegreichen, mit Atomsprengköpfen bestückten Opfer. Ich bin ein unterworfenes, mit Sprengköpfen der Poesie bestücktes Opfer. Ich weiß nicht, ob unsere poetische Überlegenheit uns zur Anerkennung als Staat führer wird.

Mahmoud Darwish – Palästina als Metapher

Die Rückkehr

Die Rückkehr ist ein universelles Thema. Es findet im palästinensischen Volk mehr als symbolische Illustration, Intensität und Legitimität, weil fast die Hälfte der Palästinenser außerhalb des Geburtslandes unter oft sehr schlechten Bedingungen lebt. Unter elenden, ungesunden Bedingungen, ohne Rechte. Das Exil bedeutet schon für sich genommen Leid. Hinzu kommt das Unglück, die Wurzeln verloren zu haben, in einer weit verstreuten Familie und in Trennung von den geliebten Menschen zu leben. Dann weitere Beeinträchtigungen, Berufsverbote, der Verlust der Identität (jenes Namens, in den sich der Schlaf hüllen, dessen auf dem Kopfkissen hinterlassene Wärme er spüren möchte).

Vertrieben durch die Massaker und Kämpfe des ersten israelisch-arabischen Krieges flohen sie im Frühjahr 1948 aus ihrem Land. Sie nahmen nur wenig Gepäck mit, ließen die Möbel zurück, die Nippes, Fotos, Teppiche, Erinnerungen… Sie zogen die Vorhänge zu und schlossen die Tür ab. Sie würden mit Sicherheit zurückkommen, die Kämpfe würden nicht lange andauern, die arabischen Brüder schnell den Krieg gewinnen. Und sie hoben gut den Schlüssel auf. Seit mehr als fünfzig Jahren tragen sie ihn tief in der Hosentasche und mit ihm all die unbeschädigten Erinnerungen: Das Haus, die Farbe der Wände, die Lage der Zimmer, die Düfte des Gartens… Ja!  Das Haus ist schön. Und sie träumen davon, es wiederzusehen, nach Hause zu kommen. Mit dem Schlüssel. Ihn im Schloss umzudrehen und eine intakte Welt wiederzufinden.

Die Rückkehr ist der Traum der vielen Tausend Opfer derKatastrophe (Makba), Traum der Flüchtlinge der ersten Stunde und jener der düsteren Tage der Niederlage im Juni 1967. Sie ist vor allem und von jeher das politische Ziel, das die wichtigsten palästinensischen Organisationen zusammenhält. Die Rückkehr (Al Awda) bedeutet die Wiederinbesitznahme des enteigneten Landes (des Eigentums der Abwesenden), das in Ermangelung einer wirklichen Heimat die Rolle der Mutter innehat. Die Rückkehr ist wie die feierliche Erklärung der eigenen Existenz als Volk und als menschliche Gemeinschaft.

Der Weg zum Haus

Die Rückkehr erlangt schließlich (wegen der dahinschreitenden Zeit und der Sprache, die alles und auch das Haus verklärt) eine mythologische Dimension, wird zur täglichen Legende, zur Antwort auf die erlebte Tragödie. Der Weg zum Haus ist sicherlich mit guten Vorsätzen gepflastert, besonders aber von Hindernissen übersät. Aber wo beginnt er wirklich?

Nie weggegangen, nie angekommen. (…) Jedes Mal wenn sie sagten: Jetzt sind wir soweit…, fiel der erste von ihnen durch den Torbogen der Aufbrüche. Du, Held, lass uns in Frieden, damit wir dich zu einem anderen Ziel tragen können. Der Aufbruch möge zu Grunde gehen! Du, blutiger Held der immer neuen Aufbrüche, sag uns, wird denn unsere Reise noch lange Zeit immer nur ein Aufbruch sein?

Mahmoud Darwish – Am letzten Abend auf dieser Erde

Das Haus ist Symbol für das wiederzuerobernde Land, den Staat, den es aufzubauen gilt, und für eine Sprache, die Wurzeln schlagen muss. Die Sprache wird wie das Land von Generation zu Generation weitergegeben.

Der palästinensische Flüchtling teilt, Opfer um Opfer, mit den Trojanern die schmerzhafte Erfahrung der Niederlage, des Massakers und der Zerstörung. Aber noch mehr hat er mit Odysseus gemeinsam. Er hat seine Heimat vor schon zu vielen Jahren verlassen und verkümmert in einem Lager, das provisorisch sein sollte, vor einer Festung, die sich als uneinnehmbar herausstellt. Wie Odysseus ist er vom Gedanken an die Heimkehr besessen. Bereit, auf jede List, jede Strategie, jedwede Gewalt zurückzugreifen, gefährliche künstliche Pferde mit von Sprengstoff gefülltem Bauch zu bauen. Verdammt, durch den Torbogen der Aufbrüche zu fallen, ohne Pass, ohne administrative und soziale Identität könnte er wie Odysseus beschließen, sich Niemand zu nennen. Dann würde ihn der Zyklop nicht sehen, würde glauben, dass es ihn nicht gibt.

Text: Gilles Boulan
Übersetzung Wolfgang Barth, April 2017

Portrait: Gilles Boulan
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12.03.2019: Topaze im „kleinsten Theater der Welt“

Die Deutsch-französische Gesellschaft Bremen (DFG) hatte für den 12.03.2019 zur Lesung aus dem Stück Topaze von Marcel Pagnol (MONS Verlag, Übersetzung Wolfgang Barth) in den Bremer Literaturkeller (das „kleinste Theater der Welt“) eingeladen.

Die 20 Plätze waren mit Mitgliedern und Freunden der DFG vollständig besetzt. Bénédicte Barth, die Vorsitzende der DFG Bremen, eröffnete den Abend. Benedikt Vermeer (Theatergründer, Direktor und Schauspieler), Caroline Zinsser und Dr. Peter Hinrichs stellten in einer eindrucksvollen Lesung das Stück vor, über das im Anschluss engagiert diskutiert wurde.

Die Hauptakteure des Abends: Herr Benedikt Vermeer, Caroline Zinsser, Dr. Peter Hinrichs.

Ich danke Herrn Vermeer, der die Gäste begeisternd durch das Theaterstück führte, und Caroline Zinsser und Peter Hinrichs für die wunderbare Lesung. Herzlichen Dank auch an die DFG für die Organisation dieses schönen Abends.

Herr Benedikt Vermeer in seinem außergewöhnlichen Theater.
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Portrait: Gracia Morales

Foto © Irene Ibañes Luque

Kurzbiografie

Gracia María Morales Ortiz wurde 1973 in Motril (Andalusien) geboren.

Sie studierte an der Universität Granada und erhielt im Jahr 2003 den Premio Extraordinario de Doctorado für ihre Dissertation in Hispanistik über José María Arguedas und Julio Cortázar (Arguedas y Cortázar: dos búsquedas de una identidad latinoamericana).

Ab März 2003 lehrte und forschte sie als Professorin an der Universität von Jaén.  Gegenwärtig Dozentin an der Universität Granada. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der spanischsprachigen Literatur Lateinamerikas des 20. Jahrhunderts, der zeitgenössischen Prosa sowie dem spanischsprachigen Theater Lateinamerikas.

Gracia Morales entwickelte kontinuierlich die eigene schriftstellerische Arbeit weiter. Sie hat bereits mehrere lyrische und  dramatische Texte veröffentlicht, für die sie eine Vielzahl  von Preisen erhalten hat, und arbeitet auch als Schauspielerin.

Eine wichtige Konstante in ihrem dramatischen Werk ist die Erinnerung. Daher treten in ihren Werken häufig Stimmen aus der Vergangenheit in Erscheinung und verschaffen sich auf der Bühne Gehör.

Theatertexte von Gracia Morales wurden in mehrere Sprachen übersetzt und bereits in über fünfzehn Ländern weltweit, vor allem in Europa und Lateinamerika, zur Uraufführung gebracht.

Sie gehörte im Jahr 2000 auch zu den Gründungsmitgliedern der Theaterkompanie Remiendo Teatro in Granada und erteilt dort u.a. Unterricht in zeitgenössischerDramatik und szenischem Schreiben.

Etwas ausführlicher auf Spanisch:

Nace en Motril (Granada) en 1973. Es doctora en Filología Hispánica por la Universidad de Granada, en donde trabaja actualmente como profesora de Literatura hispanoamericana y española. También ha ejercido como docente en la Universidad de Jaén. Su tesis doctoral, titulado Arguedasy Cortázar: dos búsquedas de una identidad latinoamericana, obtuvo el Premio Extraordinario de Doctorado.

Gracia Morales es cofundadora de la compañía granadina Remiendo Teatro (creada en 2000), que hasta ahora ha llevado a escena nueve espectáculos a partir de textos suyos y donde, en ocasiones, ejerce también como actriz y ayudante de dirección. Su faceta de autora dramática le ha permitido participar en numerosos encuentros y coloquios, en España y el extranjero, publicar trabajos de investigación e impartir distintos talleres de escritura teatral, nacionales e internacionales.

Es autora, entre otras, de las siguientes obras, todas ellas estrenadas y editadas: Vistas a la luna (1998), Interrupciones en el suministro eléctrico (1999), Formulario quinientos veintidós (1999), Prolegómenos (2000), Quince peldaños (2000),  9.15: Martínez Ruiz (2001), Como si fuera esta noche (2002), Un lugar estratégico (2003), Un horizonte amarillo en los ojos (2003), Ya ti, ¿qué te da miedo? (2006) (teatro para niños),  A paso lento (2007) y NN 12 (2008), Entre puertas y paredes. Arquitectura de una vencidad (2009), De aventuras (2010), (teatro para público infantil), Bailes de salón (2012), El caso Garay (2012), La grieta, entre animales salvajes (encolaboración con Juan Alberto Salvatierra, 2015) y La primera noche de los niños-pájaros (2018) (teatro para público infantil). Además, ha publicado varias piezas cortas y ha participado en varios proyectos colectivos, como en La orillaperra del mundo (2005), Puertas cerradas (2005), Heridas (2008), Los martes de Caronte (2016) o Planeta vulnerable (2017). Algunas de sus obras se han traducido al francés, inglés, alemán, portugués, húngaro, italiano, rumano o persa, y muchas de ellas se han dado a conocer en Hispanoamérica, Estados Unidos y Europa, mediante distintas puestas en escena.

Como autora teatral, en 2000 obtuvo el Primer Premio en el Certamen Internacional de Teatro Breve Fundación Ciudad de Requena  (con Formulario quinientos veintidós) y el Premio Marqués de Bradomín (con Quince peldaños); en 2003 consigue el Premio Miguel Romero Esteo (con Un lugar estratégico); en 2008, el premio SGAE de Teatro con NN 12; en 2011 el premio SGAE de Teatro infantil y juvenil, con De aventuras y en 2016 el premio Lorca de Autoría teatral (con La grieta, entre animales salvajes, escrita en colaboración con Juan Alberto Salvatierra).

Gracia Morales también escribe poesía; en este ámbito, ha dado a conocer el cuaderno Ocho poemas para andar por casa (2000) y los libros Manual de corte y confección (2001), De puertas para dentro (2004), con el que obtiene el Premio de Poesía del Zaidín Javier Egea,La voz en pie (2014) y Del hogar y sus mudanzas (2018).
Teilnahme an der XVII SEMANA INTERNATIONAL DE LA DRAMATURGIA CONTEMPORÁNIA in Mexico 2019; Foto: Facebook, Gracia María Moral
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Exposé: Gracia Morales, NN 12

Foto © Depositphotos
Übersetzung des Theaterstückes NN 12 von Gracia Morales (2008) aus dem Spanischen ins Deutsche, Bremen, 20.05.2019, © Wolfgang Barth, www.vieuxloup.de und Markus Steinhoff, steinhoffmarkus@web.de

Exposé

Im Mittelpunkt des Stückes NN 12 von Gracia Morales steht die gerichtsmedizinische Untersuchung eines in einem Massengrab gefunden Skelettes mit dem Ziel seiner Identifizierung. Zeit und Ort sind nicht eindeutig festgelegt. Sie können jedem Land im Kriegszustand oder unter den Bedingungen einer Diktatur zugeordnet werden, in dem es „Verschwundene“ gibt. Dass aber erst vor wenigen Jahren in Spanien damit begonnen wurde, Massengräber aus der Franco-Diktatur zu öffnen, in denen noch mehr als 100 000 nichtidentifizierte Opfer ruhen, legt den Bezug zu dieser Epoche der jüngeren europäischen Geschichte nahe.

Auf der Bühne treten vier Personen auf: Die GERICHTSMEDIZINERIN leitet die Untersuchung. NN 12, die nicht identifizierte Tote, die von den anderen Personen nicht wahrgenommen wird, nimmt Stellung, berichtet und interagiert. ESTEBAN, ihr Sohn, erfährt, wer seine Mutter und sein Vater waren und was geschah. Der ÄLTERE MANN, dessen Bedeutung für NNs Schicksal nach und nach klar wird, ist weiterhin der Meinung, dass das Geschehene notwendig war.

Das Stück strukturiert sich ausgehend von der Handlung in der Pathologie durch die Nutzung zweier Spiel-Räume auf der Bühne und deren unterschiedliche Beleuchtung: den Bereich des ÄLTEREN MANNES und den der PATHOLOGIE. Gegenwärtige Handlungsorte werden so gleichzeitig oder abwechselnd sichtbar, und durch die Zunahme und Abnahme des Lichtes und die Vergrößerung der ausgeleuchteten Zonen treten Handlungsabschnitte in denVordergrund. ESTEBAN bewegt sich an beiden Orten. NN 12 kann beide Räume und dabei den des ÄLTEREN MANNES immer mehr einsehen und äußert sich zu allem. Sie tritt dabei am Ende in einen Dialog mit dem ÄLTEREN MANN, der sie jetzt hören kann.

 Über die voranschreitenden Untersuchungsergebnisse, die Ausweitung der Handlungsräume über die Bühne hinaus durch Einblendung aktueller und vergangener Bilder, das Lesen von Briefen, besonders aber durch die Aussagen NNs über die Gespräche der Toten untereinander und die erlebten Vorgänge vor ihrer Erschießung ergibt sich ein vielschichtiges Bild, das Vergangenheit und Gegenwart ineinander aufgehen lässt, das Geschehene vollständig rekonstruiert und die Identität NNs und die Herkunft ESTEBANS Zug um Zug klärt. Wenn das Opfer NN 12 am Ende bei verlöschendem Licht, nun mit ihrem richtigen Namen und dankbar für die Ergebnisse der Ermittlungen, wieder ins Dunkel des Todes versinken kann, bleiben Täter und Sohn übrig. Die GERICHTSMEDIZINERIN aber öffnet eine neue Kiste, um die Identität eines weiteren Skelettes herauszufinden.

Der Aufbau des vielschichtigen Bildes führt zu immer größerer Vertrautheit der Rezipienten mit den Protagonisten. Sie erleben, geführt durch die GERICHTSMEDIZINERIN, Leid und Hoffnung der Patricia Luján Alvares mit  ̶  der sogar der Name genommen wurde und die Marlene (Dietrich) und schließlich NN 12 im Massengrab sein musste – und empfinden tiefe Sympathie und Mitleid. Die Grausamkeit der Vorgänge, die Verlorenheit und Verzweiflung des Sohnes, der nicht erfahren durfte, wer seine Eltern waren, und die unverfrorene Selbstgerechtigkeit eines der Täter werden sichtbar.

Es entsteht ein Urteil, das die Autorin an keiner Stelle selbst ausspricht. Wenn dadurch die Vergangenheit nicht ungeschehen gemacht werden kann, so leistet das Stück doch in der Fiktion sowie die Bemühungen der Aufarbeitung in der Realität einen Beitrag zur Wahrheitsfindung, zum Brechen des Schweigens und zum Ende der Angst.

W. Barth, 21.05.2019

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Exposé: Tristan Choisel, Dichtercoaching [Coaching littéraire]

Foto © Depositphotos
Tristan Choisel, Coaching littéraire, manuscrit 2019; Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche: Dichtercoaching, 24.11.2019, © Wolfgang Barth, Rechte für deutschsprachiges Theater seit Dezember 2019 beim ÖSTERREICHISCHEN BÜHNENVERLAG KAISER, Wien

Authentizität, die Eigenschaft, wahrhaftig, sich selbst, menschlich und solidarisch zu sein, fehlt Paul-Denis. Weil er aber merkt, dass er moralisch in gefährlicher Weise verrottet, möchte er sie, anstatt sich selbst darum zu bemühen, von anderen Menschen, die darüber verfügen, „absaugen“, damit das Risiko, „arm zu sein oder abgelehnt zu werden“ bei den anderen verbleibt: „Notfalls zahle ich [dafür] was“. Auch Victoire, Paul-Denis‘ Frau, denkt pragmatisch. Für den Sohn Guillaume, der entgegen ihrer Erwartung nicht Dichter geworden ist, sondern ebenfalls nur ans Geldverdienen denkt, hat sie eine praktische Lösung: „Er muss weg.“ Paul-Denis‘ Idee, dies zu vermeiden, indem er zwei Schlägertypen anheuert, die Guillaume in einem Intensivverfahren zum Dichten bringen sollen, führt zum Erfolg, aber zu einem anderen als erwartet: Was Guillaume nun formvollendet dichtet, ist inhaltlich abzulehnen, denn es ist nicht „angenehm.“ Schlimmer noch: Er kann mit dem Dichten nicht mehr aufhören und wird zur Gefahr für die elterliche Weltsicht und Lebensweise. Es bleibt nur die ursprünglich ins Auge gefasste Lösung.

Die in diesem Stück vorgeführte Welt ist seltsam kalt und leer. Wenn Victoire sich am Telefon beim Hundezüchter beschwert, der ihr statt des reinrassigen Rauhaardackels einen „Weichhaardackel“ verkauft hat, der in keine Kategorie passt und deshalb keinenWettbewerb gewinnen kann, wenn sie ausführlich und begründet darlegt, dass sie für alle Menschen außer sich selbst nur verachtendes Mitleid empfinden kann und deshalb lieber mit ihren Hunden redet, wenn auch der Nachbar schließlich Paul-Denis‘ Authenzitäts-Auflademethode übernimmt, sich aber niemals öffentlich dazu bekennen würde, dann scheinen Dinge des Lebens verhandelt zu werden. In Wahrheit aber geschieht einfach nichts. Auch das auf den jeweils persönlichen Vorteil ausgerichtete Verhältnis zwischen Paul-Denis und Victoire, die nur die gemeinsame Verachtung für den Sohn eint, der wie sie geworden ist, entbehrt jeden positiven Gefühls oder Wertes. Paul-Denis scheint im diplomatischen Umgang mit Victoire einzig und allein darauf bedacht, keinen Fehler zu begehen. Hier interagieren Schablonen. Am menschlichsten wirken noch die beiden Schläger, die im Umgang mit ihrem Zögling durchaus Empathie an den Tag legen, wenn es dem Auftrag dient.

Die Darstellung dieser Welt ist entgegen aller Erwartung entwaffnend komisch. Das pragmatische Handeln und Denken der Protagonisten nach dem Vorteilsprinzip ist so überraschend und verblüffend direkt, dass man sich immer wieder und bei vielen Details in hohem Maße amüsiert. Dies ist das Merkmal der guten Komödie: Humor und Komik entlarven im Gelächter die Welt, deren Zustand einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Was hat Guillaume denn nun eigentlich gedichtet? Wir erfahren es nicht, unsere Neugier trifft auch hier auf eine Leerstelle. Wir wissen nur, dass es den allgemeinen Erwartungen der Protagonisten in hohem Maße widerspricht, und dies erscheint angesichts ihrer Beschaffenheit als Trost. Guillaume ist nicht mehr der vom Beginn des Stückes. Er ist jetzt Dichter. Wir wissen, dass er dem Geschmack des Mainstream geopfert werden soll. Wenn er sich im Schlussbild grün und blau geschlagen mit seinen Texten in der Hand schweigend dem Publikum zuwendet, kommt einem unwillkürlich das „Ecce homo“ des Pontius Pilatus in den Sinn.

W. Barth, 05.12.2019

Foto: Österreichischer Bühnenverlag Kaiser
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Lesung Marcel Pagnol, TOPAZE, Institut français, 28. Juni 2019

Marcel Pagnol, Topaze, Übersetzt von Wolfgang Barth, Berlin 2017, ISBN 978-3-946368-38-0, MONS Verlag

Marcel Pagnol und die Provence. Text des Institut français zur Veranstaltung:

„Marcel Pagnol ist in Frankreichund Deutschland vor allem wegen seiner Romanfolge Eine Kindheit in der Provence und der Theaterstücke der Marseille-Trilogie bekannt. Unmittelbar stellen sich Bilder des Sommers und der Sonne der Provence ein. Wenige wissen, dass der Erfolg und die weltweite Bekanntheit des Autors mit der Uraufführung seines Theaterstückes Topaze am Théâtre des Variétés in Paris am 11. Oktober 1928 ihren Anfang nahmen.

Anlass der Lesung ist die Neuübersetzung desTopaze im Auftrag des MONS-Verlages Berlin durch Wolfgang Barth, ehemals Lehrer des Kippenberg-Gymnasiums, Fachberater Französisch Bremen und jetzt Literaturübersetzer. Durchgeführt wird sie mit Unterstützung des Institut français von Mitgliedern und Freunden der DFG Bremen und des Übersetzers, der eine Einführung geben und durch die Lesung führen wird.

Topaze, Musterbeispiel eines französischen Grundschullehrers, scheitert im ersten Teil des durchweg humorvollen Stückes an den eigenen hehren Moralvorstellungen. Im zweiten Teil kommt er als Strohmann eines korrupten Stadtrates zur Einsicht, dass es sich durch Geschäfte im großen Stil weitaus besser leben lässt. Der Verweis auf die Verwicklung von  Geschäftsinteressen und Politik gibt dem Stück aktuelle Bedeutung.“

Die Mitglieder des Leseteams Regina Auf dem Berge [Suzy Courtois], Jenny Bücking [Ernestine Muche], Bernd Gruschwitz [Régis Castel-Bénac], Dr. Peter Hinrichs [Tamise], Yannik Jégo [Panicault], Markus Steinhoff [Topaze], André Tabourot [Muche] und Caroline Zinsser [Regieanweisungen] vermittelten einen lebendigen Eindruck von diesem Stück. Durch die Lesung führte Wolfgang Barth.

Ca. 30 Gäste waren anwesend an diesem schönen Sommerabend.

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Stéfane Bientz, EMA, TOM und das Tattoo [HÉMATOME(S)] F

Photo: Österreichischer Bühnenverlag Kaiser
Stéphane Bientz, HÉMATOME(S), Éditions Espaces 34, 2018 ; traduction du français en allemand de la pièce jeune public: EMA, TOM UND DAS TATTOO, [HÉMATOME(S)] © Wolfgang Barth, 03.05.2019, droits de publication et de présentation depuis août 2019: Österreichischer Bühnenverlag Kaiser; (faire défiler la page vers le bas).

EMA, TOM UND DAS TATTOO [HÉMATOME(S)] de Stéphane Bientz

Sur la plage, Tom « la frousse » avec son bâton „Sureau“ rencontre Ema  « l’Hermétique » avec sa poupée « Tatou ». Il attend Dilo la sauvage qui est partie explorer le Creux du Diable, sur l’île en face, une grotte, à ciel ouvert, dans laquelle l’eau s’engouffre quand la mer monte et qu’on ne peut joindre que par le chemin dangereux d’un banc de sable. Tom tombe amoureux d’Ema et aimerait bien devenir son ami. Dilo qui domine et malmène Tom voit en Ema une rivale et s’interpose. Les lieux d’action sont la plage, l’école et l’île.

Un mystère sombre flotte autour d’Ema. Avec son père, elle habite la maison au sommet du rocher sur l’île; elle ose à peine s’exprimer, semble oppressée et porte des habits de laine en plein été.  En cours de sport, elle refuse d’enlever ses vêtements et elle en est dispensée après intervention du père. Ema cherche le contact avec Tom et Dilo mais rentre toujours rapidement sur son île. Son père lui interdit de jouer avec ses amis, et bientôt on ne la voit plus du tout à l’école, ce qui inquiète profondément Tom. Par hasard, près des rochers de la mer, il tombe sur Ema qui est complètement désespérée et physiquement défaite. Il promet de lui rendre visite le lendemain.

Tom demande à Dilo de l’accompagner dans cette aventure dangereuse. Quand ils frappent à la porte de sa maison, le père leur signifie de retourner chez eux : Ema est partie chez sa mère, une actrice connue, pour l’accompagner lors des tournages, dit-il. Mais Tom et Dilo retrouvent Ema dans une galerie souterraine bourrée d’or et de bijoux. Le père arrive sous les traits d’un terrible dragon qui veut reprendre ses droits sur son trésor le plus précieux qui est Ema et dont le corps est constellé d’hématomes.

Tom s’enfuit et tombe dans l’eau tourbillonnante du Creux du Diable. En se noyant il passe dans un monde sous-marin miraculeux. Il sera sauvé par l’Esprit du Corail qui lui dit qu’il peut libérer Ema en lui jouant un air de cent dix notes sur une flûte qu’il aura taillée dans son bâton Sureau. Tom et Dilo ont raison du dragon qui reprend la forme du père et se retrouve en prison. La mère revient vivre à la maison pour y rester et protéger désormais Ema. Les enfants se sont retrouvés dans une amitié profonde. Un tatouage au cou d’Ema, trace du dernier hématome sur son corps, rappelle qu’il faudra encore travailler les traumatismes produits par le pouvoir néfaste du père sur la fille.

La pièce parle d’amitié, de rivalité, de la lutte des enfants pour l’amour entre eux, et elle montre les manières différentes d’y parvenir: la force combative et l’action ou le langage sensuel et la poésie. Mais au centre se trouve le rapport de violence du père avec la fille. Avec l’aide de ses amis, Ema y échappe. Elle fait l’appel de détresse.[1] La violence n’est pas décrite concrètement, elle ne blesse pas les spectateurs par un réalisme insupportable, mais elle va, au contraire, directement dans la peau par l’image. Les petits enfants verront un conte de fées saisissant et y retrouveront des éléments connus. Les plus âgés et les jeunes adultes, suivant leurs expériences, donneront une autre interprétation à ce qu’ils voient et vivront une toute autre pièce.

Par le système de métaphores et d’images pleines de poésie et d’imagination, le rythme, les vers et les couplets en rimes et assonances et les jeux de mots, le spectateur est transporté dans un monde de rêve chargé de signification, d’expression et de suspense. On vit la recherche des enfants d’eux-mêmes et de l’autre, la naissance de l’amitié et de l’amour, la jalousie, la dispute, la peur, l’espoir, la menace et la défense. Cela aide à la compréhension: Tout finira bien. Le monde peut être compliqué, dangereux et blessant jusqu’à menacer l’existence même. Mais on peut réussir la vie, et elle est belle. Pour cela il est important de ne pas rester seul. Les enfants ont besoin de cette consolation.


[1] Numéro d’appel d’urgence en Allemagne: 110

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Stéfane Bientz, EMA, TOM und das Tattoo [HÉMATOME(S)] D

Foto: Österreichischer Bühnenverlag Kaiser
Stéphane Bientz, HÉMATOME(S), Éditions Espaces 34, 2018 ; Übersetzung des Theaterstücks für junges Publikum aus dem Französischen ins Deutsche: EMA, TOM UND DAS TATTOO, [HÉMATOME(S)] © Wolfgang Barth, 03.05.2019, Rechte seit August 2019: Österreichischer Bühnenverlag Kaiser; (Seite nach unten scrollen).

Inhaltsangabe und Exposé

Tom „Angsthase“ mit seinem Stock „Holunder“ trifft Ema, „die Zugenähte“, mit ihrer Puppe „Tatou“ am Strand, wo er auf Dilo, die Verwegene, wartet, welche die Teufelslochinsel erkundet, die ihren Namen von einer Höhle mit Zugang zum Meer hat und nur bei Ebbe auf gefährlichem Wege über die Sandbank erreicht werden kann. Tom verliebt sich in Ema und möchte ihr näher kommen. Dilo beherrscht und drangsaliert Tom, sieht eifersüchtig Ema als Rivalin und stellt sich zwischen die beiden. Handlungsorte sind der Strand, die Schule und die Insel.

Um Ema gibt es ein dunkles Geheimnis. Sie wohnt mit ihrem Vater in einem Haus auf der höchsten Stelle der Insel, spricht kaum, scheint bedrückt und trägt im Sommer dicke Wollsachen. Der Vater lässt sie vom Sportunterricht,  in dem sie sich nicht entkleiden will, befreien.  Ema sucht Kontakt zu Tom und Dilo, entzieht sich aber immer wieder und kehrt auf die Insel  zurück. Als sie mit den beiden nicht mehr spielt, weil der Vater es verboten hat, und schließlich überhaupt nicht mehr in der Schule erscheint, verfällt Tom in Verzweiflung. Er trifft Ema zufällig bei den Felsen am Meer völlig verängstigt und zerrüttet und verspricht ihr, sie am nächsten Tag in ihrem Haus auf der Insel zu besuchen. Tom wagt dies nur, weil er Dilo überreden kann, ihn bei diesem gefährlichen Abenteurer zu begleiten. An der Haustür schickt derVater sie weg: Ema ist zu den Dreharbeiten ihrer Mutter, einer berühmten Schauspielerin, gefahren. Tom und Dilo schenken der Aussage keinen Glauben und finden Ema in einem unterirdischen Gewölbe voll Gold und Schmuck. Der Vater naht in Gestalt eines fürchterlichen Drachens, der seinen wertvollsten Schatz, Ema, deren Körper überall von blauen Flecken gezeichnet ist, wieder in seine Gewalt bringen möchte.

Bei der Flucht stürzt Tom in das tosendeWasser des Teufelslochs. Er landet ertrinkend in einer sagenhaften Unterwasserwelt und erfährt vom Korallengeist, der ihn rettet, dass er Ema befreien kann, wenn er aus „Holunder“ eine Flöte schnitzt und eine Melodie mit einhundertzehn Tönen spielt. Tom und Dilo besiegen schließlich den Drachen, der, nun wieder in der Gestalt des Vaters, im Gefängnis landet. Die Mutter kehrt zurück, bleibt dauerhaft bei Ema und beschützt sie. Die Kinder haben in tiefer Freundschaft zueinander gefunden. Vom Trauma, das noch überwunden werden muss, zeugt als Spur des letzten blauen Flecks ein Tattoo am Hals Emas.

Das Stück handelt von Freundschaft, Rivalität und Ringen um Zuneigung der Kinder zueinander in romantisch-poetischer und handlungsorientiert-grober Variante. Im Mittelpunkt steht die traumatisch belastete Beziehung Emas zu ihrem Vater. Mit Hilfe der Freunde kann Ema den Notruf  (110) absetzen, dem Gewaltverhältnis, das bildhaft deutlich, aber nie in realer, verletzender Ausführung gezeigt wird, entkommen und mit dessen Verarbeitung beginnen. Kleinere Kinder werden das Stück als spannendes Märchen erleben und typische Muster wiederfinden. Ältere Kinder und junge Erwachsene weisen vor ihrem Erfahrungshintergrund Bildern und Handlung eigene Bedeutungen zu und kommen zu einer anderen Lesart.

Die fantasievoll-poetische, dichte Metaphorik, der Rhythmus,  gereimte und assonierende Repliken und vielschichtige Wortspiele versetzen Leser und Zuschauer in eine bedeutungs- und wirkungsintensive, fesselnde Traumwelt. Die zaghafte Zuwendung der Kinder zueinander, Entstehung von Freundschaft und Liebe, Eifersucht, Streit und Zwist, Angst, Hoffnung, Bedrohung und deren Abwehr werden miterlebt. Dies führt zu Verständnis und spendet Trost: Alles wird gut werden. Die Welt mag kompliziert, bedrohlich und gefährlich verletzend sein. Das Leben kann aber gelingen und ist schön, wenn man nicht alleine bleibt. Kinder brauchen diesenTrost.

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EURODRAM AUFRUF 2020

AUFRUF ZUR EINSENDUNG VON DEUTSCHSPRACHIGEN THEATERTEXTEN BIS 31.12.2019

EURODRAM – Deutschsprachiges Komitee

EURODRAM ist ein europaweit agierendes Netzwerk, das den Austausch zwischen Übersetzer*innen, Autor*innen und der europäischen Theaterszene fördert.

Die unterschiedlichen Sprachenkomitees aus Europa, dem Mittelmeerraum und Zentralasien stellen jeweils im Frühjahr eine Auswahl aus drei Texten zusammen – jahrweise alternierend geht es hierbei um Originaltexte und um Übersetzungen.

Für die Auswahl 2020 ist das deutschsprachige EURODRAM-Komitee auf der Suche nach im Original auf Deutsch verfassten Texten.

Die Texte sollen in der Regel nicht älter als fünf Jahre sein. Wohnort und Nationalität der Autor*innen sind innerhalb des Raumes, den Eurodram abdeckt, für die Ausschreibung nicht relevant.

Die Texteinsendungen können von den Autor*innen selbst, von Verlagen oder von Mitliedern des deutschsprachigen oder anderer Eurodram-Komitees stammen, müssen aber die schriftliche Einverständniserklärung der Rechteinhaber (in der Regel Autor*innen bzw. Verlage) enthalten, dass der Text zur Ermittlung der Auswahl innerhalb des Komitees weitergegeben werden darf und für Lesungen im Rahmen von EURODRAM-Veranstaltungen kostenlos zur Verfügung steht. Weitere notwendige Angaben sind unter dem Link Unterlagen aufgeführt.

Pro Autor oder Verlag darf ein Text eingesandt werden. Von Einsendungen schon einmal eingereichter Stücke bitten wir abzusehen.

Die Auswahl 2020 wird am 21. März 2020 auf der Homepage des deutschsprachigen Komitees und der Internetseite der Gesamtorganisation EURODRAM veröffentlicht und im Laufe des Jahres im Theaterhaus G7 in Mannheim (Lesungen, Interviews, Diskussion) vorgestellt. Die Autor*innen und Verlage der Auswahl werden gesondert benachrichtigt.

Wir bemühen uns um weitere Vorstellungsorte.

Es ist das Ziel, die Stücke der Auswahl in eine der Sprachen des Netzwerkes zu übersetzen. Dies soll mit eigener Kraft durch die Übersetzer*innen des Netzwerkes oder externe Übersetzer*innen geschehen, wofür wir uns um Übersetzungsstipendien bemühen. Gegebenenfalls erfolgt hierzu eine gesonderte Ausschreibung.

Texteinsendungen mit den erforderlichen Unterlagen nimmt das Mitglied des Koordinator*innenteams des deutschsprachigen Komitees, Wolfgang Barth, unter vieuxloup@t-online.de entgegen.

Einsendeschluss ist der 31.12.2019.

EURODRAM ist eine in Luxemburg registrierte, nicht gewinnorientierte europäische Vereinigung (Luxembourg Business Registers Nr. F11931). Link zu den Statuten .

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Eurodram: Vorstellung der Auswahl 2019

Theater Drachengasse, Wien, 25. November 2019

Szenische Lesungen der Stücke der diesjährigen Auswahl und Diskussionsrunden mit den Autor*innen sowie ihren Übersetzer*innen.

Außerdem freuen wir uns auf die Lesung des Stücks DER BÜRGERMEISTER von Małgorzata Sikorska-Miszczuk, dessen Übersetzung durch Anna Szostak-Weingartner mit einem Stipendium des Bundeskanzleramts Österreich ermöglicht wurde.

Im Detail:

Maya Arad Yasur
Amsterdam
übersetzt aus dem Hebräischen von Matthias Naumann
Leserechte mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Theater Verlag

Marina Skalova
Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten
übersetzt aus dem Französischen von Marina Skalova und Frank Weigand
Leserechte mit freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlag Theater & Medien

Frédéric Sonntag
B. Traven (B. Traven)
übersetzt aus dem Französischen von Yvonne Griesel
Leserechte mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Theater Verlag

Małgorzata Sikorska-Miszczuk
Der Bürgermeister
übersetzt aus dem Polnischen von Anna Szostak-Weingartner
Übersetzerstipendium Bundeskanzleramt Österreich

Künstlerische Leitung: Sandra Schüddekopf
Einrichtung szenische Lesungen: Esther Muschol, Sandra Schüddekopf
Es lesen: Roman Just, Reinhold G. Moritz, Julia Posch, Christina Scherrer, Johannes Schüchner

Internetseite des Theaters Drachengasse Wien: EURODRAM-LESUNG

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